Der Bundesrat erwartet von allen Schweizer Unternehmen, dass sie ihre menschenrechtliche Verantwortung angemessen wahrnehmen, ungeachtet ihrer Grösse, Tätigkeit oder Branche. Angesichts der teilweise begrenzten personellen Ressourcen und Fachkenntnisse der KMU kann der Umgang mit den Risiken von Menschenrechtsverletzungen und deren Beurteilung eine erhebliche Herausforderung und Belastung darstellen. Aus diesem Grund unterstützt der Bund KMU mit spezifischen Massnahmen und Informationen. Im Folgenden zeigen wir auf, inwiefern Unternehmen, insbesondere KMU, betroffen sind und welche Menschenrechte durch bestimmte Wirtschaftstätigkeiten potenziell gefährdet sind.
1. Allgemeine Informationen
Die Vereinten Nationen haben die UNO-Leitprinzipien 2011 verabschiedet. Sie sind ein wichtiger Schritt, um Lücken bei der Umsetzung einer Good Governance zu schliessen. Sie definieren die staatliche Schutzpflicht und die menschenrechtliche Verantwortung der Unternehmen und bilden damit einen internationalen politischen Rahmen. Die UNO-Leitprinzipien schaffen keine neuen Pflichten und beruhen auf den drei Säulen «staatliche Schutzpflicht», «Unternehmensverantwortung» und «Zugang zu Wiedergutmachung».
Am 15. Januar 2020 hat der Bundesrat den Nationalen Aktionsplan «Wirtschaft und Menschenrechte» für die Jahre 2020 bis 2023 verabschiedet. Damit soll der Schutz der Menschenrechte im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeiten des Bundes und der Schweizer bzw. der hier ansässigen Unternehmen verbessert werden. Der Plan sieht 35 Massnahmen vor und verfolgt drei Schwerpunkte:
- Kommunikation der Erwartungen des Bundesrates an die Unternehmen
- Unterstützung für die Unternehmen, insbesondere die KMU
- Sicherstellung der politischen Kohärenz
2. Erwartungen des Bundes
Der NAP schafft wie die UNO-Leitprinzipien keine neuen rechtlichen Pflichten. Gemäss den UNO-Leitprinzipien ist die Verpflichtung zur Wahrung der Menschenrechte eine generelle Verhaltensnorm, die von allen Unternehmen erwartet wird. Der NAP unterstützt die Unternehmen bei der Einhaltung dieser Verhaltensnorm.
Im Ausland tätige Schweizer Unternehmen sind je nach Land mit unterschiedlichen Kontexten konfrontiert, wie etwa einem schwachen Rechtsstaat, laufenden oder beendeten Konflikten. Zudem entsprechen die innerstaatlichen Vorschriften nicht immer den
internationalen Menschenrechtsstandards. Deshalb obliegt es den Unternehmen, über die nationalen Vorschriften hinauszugehen und sich an die internationalen Standards zu halten (UNO-Leitprinzipien, OECD, IAO-Normen usw.). In Konflikt- oder Hochrisikogebieten ist die Sorgfaltsprüfung besonders wichtig. Der Bund erwartet von den Unternehmen, dass sie den lokalen Gegebenheiten Rechnung tragen und dazu einen konfliktsensitiven und menschenrechtsbasierten Ansatz anwenden sowie die besonderen Probleme in fragilen Kontexten berücksichtigen.
Die unternehmerische Verantwortung bezieht sich auf die international anerkannten Menschenrechte und Prinzipien, namentlich auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte der UNO, den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der UNO und die grundlegenden Prinzipien und Rechte in den acht Kernübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO). Ausserdem sind für die Schweiz auch die regionalen Mechanismen des Europarates, insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle wichtig. Je nach Umständen müssen die Unternehmen zusätzliche Standards berücksichtigen. Darunter fallen namentlich Standards, die verletzliche Bevölkerungsgruppen betreffen, wie die Übereinkommen zum Schutz von indigenen Völkern, Frauen, Minderheiten, Kindern sowie Menschen mit Behinderungen.
3. Menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung
3. Menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung
Ja, die Berücksichtigung der Menschenrechte ist nicht zwingend mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden und kann in bereits existierende Prozesse eingebaut werden. Beispielsweise können Sie im Rahmen einer Risikoanalyse die Risiken mit negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte identifizieren. Produktsicherheitsprozesse oder bestehende Managementsysteme können Ihnen auch helfen, Menschenrechtsverletzungen zu erkennen und zu verhindern. Sie können sich auch auf einige Zertifizierungen oder Richtlinien für Managementsysteme stützen (z.B. ISO 26000 sind Richtlinien für Unternehmen, die sozial verantwortlich handeln). Ihr Ansatz für die menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung muss nicht von Anfang perfekt sein, die Verankerung der Menschenrechte ist ein kontinuierlicher Prozess.
Die Sorgfaltsprüfung sollte den Risiken und dem unternehmensspezifischen Kontext angemessen sein und folgende Massnahmen beinhalten:
- Verantwortungsvolle Unternehmensführung und Achtung der Menschenrechte in der Politik und der Führung des Unternehmens verankern;
- Tatsächliche und potenzielle negative Folgen für Menschenrechte ermitteln und bewerten;
- Negative Auswirkungen beenden, verhüten und mindern;
- Umsetzung und Resultate zurückverfolgen (Wirksamkeitskontrollen);
- Über getroffene Massnahmen berichten;
- Angemessene Wiedergutmachung ermöglichen.
Welche Menschenrechte für Ihr Unternehmen von besonderer Bedeutung sind, hängt von Ihrer Branche, dem geografischen Standort Ihrer Geschäftstätigkeit, den verwendeten Rohstoffen sowie von Ihren Produkten, Dienstleistungen und Geschäftspartnern ab.
Nachfolgend finden Sie Beispiele für Menschenrechte, die aufgrund wirtschaftlicher Aktivitäten betroffen sein können:
- Verbot des Menschenhandels und der Zwangsarbeit
Der Leiter Einkauf einer Schweizer Firma besucht seinen Hauptlieferanten in Ostasien. Beim Besuch der Räumlichkeiten eines der Lieferanten findet er heraus, dass die Arbeitnehmenden in einer Unterkunft direkt auf dem Firmengelände leben, dass ihre Ausweispapiere von ihrem Arbeitgeber beschlagnahmt wurden und dass sie einen grossen Teil ihres Lohns zur Deckung der Wohnkosten und zur Erstattung der Einstellungskosten abgeben müssen. Als sie versucht hätten, sich gegen diese Bedingungen zu wehren, seien ihnen vom Arbeitgeber Schläge angedroht worden. Der Leiter Einkauf beschliesst, seinen Vorgesetzten über seine Beobachtungen zu informieren, um die notwendigen Massnahmen zu ergreifen, z.B. durch Gespräche mit dem Lieferanten oder durch die Einrichtung eines Audits. - Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit
Ein Mitarbeiter eines Schweizer Unternehmens reist nach Zentralafrika zur Montage der Teile einer Turbine für ein Staudamm-Projekt. Er stellt fest, dass das Unternehmen, das den Damm baut (der Kunde), täglich bewaffnete private Sicherheitskräfte einsetzt, um das Gelände zu schützen. Eines Tages erlebt er einen Zusammenstoss zwischen Anwohnerinnen und Anwohnern sowie dem Sicherheitspersonal im Rahmen eines Protests gegen das Staudamm-Projekt. Dabei werden Demonstrierende durch das Sicherheitspersonal verletzt. Der Mitarbeiter meldet den Vorfall unverzüglich dem Kunden, der dann seinen Sicherheitsdienstleister zur Einhaltung des International Code of Conduct for Private Security Companies (ICoC) auffordert. Im Falle von wiederholten Vorfällen und wenn es nicht gelingt, die Praxis des Geschäftspartners zu ändern, wird das Schweizer Unternehmen die Beendigung der Geschäftsbeziehung in Betracht ziehen.
Nachfolgend finden Sie weitere Beispiele für Menschenrechte (nicht abschliessende Liste):
- Verbot der Folter
- Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
- Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
- Freiheit der Meinungsäusserung
- Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
- Diskriminierungsverbot
Unternehmen können auf drei verschiedene Arten mit nachteiligen Auswirkungen auf die Menschenrechte in Verbindung gebracht werden:
- Ein Unternehmen kann durch die eigene Tätigkeit nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte verursachen. Zum Beispiel können Unternehmen Menschenrechte verletzen, wenn chemisches Abwasser aus Produktionsprozessen das Trinkwasser einer Gemeinde verschmutzt.
- Ein Unternehmen kann zusammen mit anderen Akteuren an nachteiligen Auswirkungen auf die Menschenrechte beteiligt sein. Zum Beispiel können Unternehmen zu Menschenrechtsverletzungen beitragen, wenn ihre vertraglichen Anforderungen Zulieferbetriebe dazu verleiten, Arbeitnehmende zu unbezahlten Überstunden zu zwingen, und sie so gegen Arbeitsschutzstandards verstossen, um rechtzeitig liefern zu können.
- Obwohl ein Unternehmen nicht selbst zu nachteiligen Auswirkungen auf die Menschenrechte beigetragen hat, kann es doch aufgrund einer Geschäftsbeziehung mit Zulieferbetrieben, Kundinnen bzw. Kunden oder Geschäftspartnern unmittelbar in solche Auswirkungen involviert sein.
Die Unternehmen müssen nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte in den drei erwähnten Situationen verhüten oder vermindern.
Opfer von Menschenrechtsverletzungen sollten gemäss den UNO-Leitprinzipien Zugang zu Wiedergutmachung erhalten. Diese kann verschiedene Formen annehmen, so etwa die Einstellung einer sich nachteilig auswirkenden Tätigkeit, die Verhütung entsprechender Tätigkeiten in der Zukunft, Entschuldigungen oder Kompensationen. Den Schweizer Unternehmen stehen, vor allem wenn sie menschenrechtlichen Risiken besonders stark ausgesetzt sind, verschiedene Beschwerdeverfahren offen: u.a. Beschwerdemechanismen für Mitarbeitende und externe Stakeholder, die das Unternehmen alleine oder zusammen mit anderen
Unternehmen oder einem Industrieverband verwaltet. Ein Beschwerdemechanismus ermöglicht Personen, die sich nachteiligen Auswirkungen ausgesetzt sehen, sich zu beschweren. Dabei kann es sich beispielsweise um eine eigens dafür eingerichtete Helpline oder Mailbox handeln. Die Unternehmen können aber auch mit dem Nationalen Kontaktpunkt (NKP) für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen (www.seco.admin.ch/nkp) zusammenarbeiten, der als Dialogplattform und als aussergerichtliche Schlichtungsstelle dient.
4. Informationen für KMU
KMU sehen sich angesichts beschränkter personeller und fachlicher Ressourcen oft mit besonderen Herausforderungen im Umgang mit möglichen menschenrechtlichen Risiken konfrontiert. Um mit diesen Herausforderungen umzugehen, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten:
- Führen Sie regelmässige Gespräche mit Personen, die von Ihren Geschäftsaktivitäten negativ betroffen sein könnten, wie z.B. Mitarbeitende, Kundinnen und Kunden, Zulieferbetriebe oder lokale Gemeinschaften, um mögliche negative Auswirkungen proaktiv zu identifizieren und anzugehen;
- Suchen Sie bei Ihrem Branchen- oder Dachverband um Informationen nach und lassen Sie sich von Fachleuten (NGOs, Gewerkschaften, Menschenrechtsberatungsstellen usw.) beraten. Es bestehen Initiativen und Programme im Menschenrechtsbereich, die den Unternehmen konkrete Unterstützung anbieten. Weitere Informationen finden Sie auch unter «Multistakeholder-Initiativen»;
- Arbeiten Sie mit Ihren Geschäftspartnern zusammen; insbesondere wenn es sich um eine grössere Firma handelt, die Anforderungen im Menschenrechtsbereich stellt, können Sie von ihr Unterstützung anfordern.
- Lesen Sie unsere Broschüre für KMU (siehe Link unten). Sie bietet einen Überblick über die internationalen und nationalen Richtlinien sowie konkrete Handlungsansätze zur Einführung einer menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfung.
Ja, alle Unternehmen können negative Auswirkungen auf die Menschenrechte haben und sind von diesem Thema betroffen. In der Praxis lässt sich durch die Einhaltung der Gesetze (in den Bereichen Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz, Verbot der Diskriminierung usw.) bei Ihren geschäftlichen Aktivitäten in der Schweiz weitgehend gewährleisten, dass Sie die Menschenrechte nicht verletzen. Sie können jedoch durch Ihre Kundinnen und Kunden oder durch Zulieferbetriebe in Menschenrechtsverletzungen verwickelt sein. Wenn beispielsweise eines der Elemente des Endprodukts in der Lieferkette das Ergebnis von Zwangs- oder Kinderarbeit ist, muss Ihr Unternehmen seinen Einfluss nutzen, um die Verstösse des Handelspartners zu verhindern oder abzumildern. Mit einer menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfung können Sie leichter erkennen, wo die potenziellen Risiken von Menschenrechtsverletzungen liegen und entsprechend handeln.
Bei der Durchführung einer Sorgfaltsprüfung sind folgende Aspekte besonders wichtig:
- Risikobasierter Ansatz: Zuerst die nachteiligen Auswirkungen auf die Menschenrechte angehen, die am schwersten (Ausmass, Reichweite und keine Möglichkeiten zur Wiedergutmachung) und wahrscheinlichsten sind.
- Reichweite: Die eigenen Aktivitäten innerhalb der direkten und indirekten Lieferketten sowie im Rahmen der anderen Geschäftsbeziehungen prüfen.
- Kontinuierlicher Prozess: Die Risiken und die Situation von Zulieferbetrieben, Geschäftspartnern, Beschaffungsländern und Branchen regelmässig prüfen und laufend Verbesserungen anstreben. Durch die Entwicklung neuer Produkte oder durch neue Geschäftsbeziehungen können ebenfalls neue Risiken entstehen.
- Anderer Blickwinkel: Risikobewertung aus der Perspektive der Rechteinhaber und der potenziell betroffenen Stakeholder vornehmen, nicht nur auf die Risiken für das eigene Unternehmen fokussieren.
Mehr informationen: KMU Portal, CSR-Bundesportal und OECD Portal (en)