Die Volksinitiative „Verantwortungsvolle Unternehmen - zum Schutz von Mensch und Umwelt“, die in der Volksabstimmung vom 29. November 2020 abgelehnt wurde, führte zur Annahme des indirekten Gegenvorschlags des Parlaments, der am 1. Januar 2022 in Kraft trat. Dieser führt neue Bestimmungen in das Obligationenrecht ein (Art. 964a bis 964l), die verschärfte Pflichten für bestimmte Schweizer Unternehmen mit sich bringen.
Gesetzgeberischer Hintergrund: von der Volksinitiative zum indirekten Gegenentwurf
Neue gesetzliche Verpflichtungen
1. Bericht über nichtfinanzielle Angelegenheiten
Grosse Unternehmen müssen nun einen Jahresbericht erstellen, der die folgenden Themenbereiche abdeckt: Umwelt, Soziale und personelle Angelegenheiten, Einhaltung von Menschenrechten, und Bekämpfung von Korruption.
2. Sorgfaltspflichten für sensible Bereiche
Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit Risiken im Zusammenhang mit Kinderarbeit oder der Verwendung von Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten birgt, müssen besondere Sorgfaltspflichten einhalten. Diese Pflichten werden in der Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit (VSoTr) näher erläutert.
In Bezug auf Kinderarbeit müssen Unternehmen - mit Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz - die Sorgfaltspflichten in der Lieferkette einhalten und darüber berichten, wenn sie Waren oder Dienstleistungen anbieten, bei denen ein begründeter Verdacht besteht, dass Kinderarbeit eingesetzt wird. Die dem Gesetz unterliegenden Unternehmen sind verpflichtet, Sorgfaltsprüfungsverfahren einzuführen: Sie müssen insbesondere die Risiken im Zusammenhang mit Kinderarbeit in ihrer Lieferkette ermitteln und bewerten und gegebenenfalls Massnahmen ergreifen, um die festgestellten Risiken zu verhindern und abzumildern.
Ausnahmen und Sonderfälle
- KMU und Unternehmen mit geringen Risiken sind ausgenommen (Art. 6 und 7 VSoTr).
- Wenn ein Unternehmen jedoch Waren oder Dienstleistungen anbietet, die offensichtlich durch Kinderarbeit hergestellt wurden, unterliegt es auch als KMU diesen Verpflichtungen (Art. 8).
Tools für Unternehmen
Dieser Leitfaden zum Thema Kinderarbeit wurde gemeinsam von der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) und der Internationalen Arbeitgeberorganisation (IOE) als Ressource geschaffen, die es Unternehmen ermöglicht, die in den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte festgelegten Sorgfaltspflichten zu erfüllen, soweit sie Kinderarbeit betreffen. Der Leitfaden ist auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch verfügbar.
Dieser Atlas wurde vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) entwickelt und bietet in Form eines Online-Tools eine länderspezifische Empfehlung für die erforderliche Sorgfaltspflicht im Bereich der Kinderrechte. Der Children's Rights in the Workplace Index des Atlas liefert insbesondere Hinweise im Zusammenhang mit Kinderarbeit.
Diese vom UN Global Compact Switzerland & Liechtenstein mit Unterstützung des Bundes entwickelte vierteilige Webinarreihe erläutert, wie wirksame Sorgfaltsprüfungsverfahren in Bezug auf Kinderarbeit in Wertschöpfungsketten umgesetzt werden können. Die Aufzeichnungen der Webinare und die präsentierten Folien sind auf der Webseite des Global Compacts verfügbar.
Der Helpdesk des Internationalen Arbeitsamtes für Unternehmen ist ein kostenloser und vertraulicher Helpdesk für Unternehmen. Er verfügt über eine spezielle Seite zum Thema Kinderarbeit, die regelmäßig mit neuen Hilfsmitteln und Fragen und Antworten aktualisiert wird.
Das Internationale Ausbildungszentrum der IAO bietet einen jährlichen Kurs für Unternehmen an ("International labour standards and responsible business conduct: the labour dimension of human rights due diligence"). Dieser Kurs beinhaltet immer einen Teil über Kinderarbeit, aber auch über andere Arbeitsrechte im Zusammenhang mit der Sorgfaltsprüfung.
Die IAO hat ein Handbuch erstellt, das Unternehmen, insbesondere KMU, dabei helfen soll, zu verstehen, wie sie die Anforderungen der Arbeitsnormen erfüllen können. In diesem Handbuch geht es unter anderem um Kinderarbeit (siehe Seiten 42-46 des Handbuchs). Der Kurs ist auch als Online-Schulung verfügbar.
Öffentliche Aufträge und bundesnahe Unternehmen
Das revidierte Gesetz und die Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB und VöB) sind am 1. Januar 2021 in Kraft getreten. Das Ziel der revidierten Gesetzgebung ist ein wirtschaftlicher Umgang mit öffentlichen Geldern, der nachhaltige wirtschaftliche, ökologische und soziale Auswirkungen hat (Art. 2 Bst. a BöB).
Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch den Bund müssen die Anbieter die Bestimmungen zum Arbeitnehmerschutz und zu den Arbeitsbedingungen einhalten und die Lohngleichheit von Frauen und Männern gewährleisten (soziale Kriterien).
Öffentliche Aufträge über im Ausland zu erbringenden Leistungen werden nur an Anbieter vergeben, die mindestens die Kernübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) einhalten (Art. 12 Abs. 2 BöB). Wenn die Gesetzgebung am Ausführungsort strenger ist, müssen die Anbieter diese einhalten. Zusätzlich zu den Kernübereinkommen der IAO kann die Beschaffungsstelle als wichtige internationale Arbeitsstandards verlangen, dass die Anbieter die in anderen IAO-Übereinkommen verankerten Grundsätze einhalten, sofern die Schweiz diese Übereinkommen ratifiziert hat (Art. 4 Abs. 2 VöB).
Bei der Umsetzung dieser Bestimmungen hat das SECO eine unterstützende Rolle für die Beschaffungsstellen und kann die anfragenden Stellen bei Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Einhaltung der sozialen Kriterien beraten
Tools für die Unternehmen
Die Empfehlungen für die Beschaffungsstellen des Bundes zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung bieten detaillierte Informationen zu sozialen Kriterien und deren Überprüfung.
Die Wissensplattform für nachhaltige öffentliche Beschaffung (WÖB) wird laufend mit neuen Hilfsmitteln und Empfehlungen aktualisiert.
Instrument zur Bewertung des Risikos einer Verletzung der grundlegenden IAO-Übereinkommen
Um die tatsächliche Einhaltung der grundlegenden IAO-Übereinkommen zu überprüfen, müssen die Behörden, die für die Umsetzung dieser Bestimmungen zuständig sind, Nachweise verlangen.
In der Regel stellt eine ordnungsgemäss ausgefüllte und unterzeichnete persönliche ehrenwörtliche Erklärung einen rechtlich ausreichenden Nachweis dar. Wenn jedoch ein Risiko der Nichteinhaltung besteht, werden die Behörden dazu angehalten, zusätzliche Nachweise zu verlangen oder Nachweise von Vor-Ort-Kontrollen durch Audits zu erbringen.
Um die für die Umsetzung dieser Bestimmungen zuständigen Behörden zu unterstützen, hat das SECO in Zusammenarbeit mit der IAO ein Instrument zur Bewertung des Risikos einer Verletzung der grundlegenden IAO-Übereinkommen entwickelt. Dieses Instrument soll in Form von Risikobewertungen klare, einfache und transparente Informationen über die Situation in den einzelnen Ländern in Bezug auf die Umsetzung der zehn grundlegenden IAO-Übereinkommen liefern. Diese Informationen können neben anderen Elementen bei der Entscheidungsfindung, ob eine Prüfung vor Ort durchgeführt werden soll oder nicht, herangezogen werden.
Der Zugang zu diesem Instrument kann hier beantragt werden: Soziale Kriterien (admin.ch)
Leitfaden zu sozialen Nachhaltigkeitsstandards im Textilbereich für das öffentliche Beschaffungswesen
Der Leitfaden zu sozialen Nachhaltigkeitsstandards im Textilbereich für das öffentliche Beschaffungswesen und das dazugehörige Tool des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) und des International Trade Centre (ITC) liefern alle notwendigen Informationen, um die soziale Nachhaltigkeit bei der öffentlichen Beschaffung von Textilien zu stärken. Sie bieten eine detaillierte Bewertung von 23 privaten Standards, die die textile Lieferkette abdecken, auf den 10 Kernübereinkommen der IAO basieren und einen unabhängigen Überprüfungsmechanismus erfordern. Der Leitfaden enthält ausserdem eine Anleitung, wie diese Standards in den Ausschreibungsprozess integriert werden können, sowie Informationen zu 25 weiteren Sozialstandards, die im Textilbereich tätig sind. Das Tool zur Analyse von Sozialstandards stellt detailliert dar, welche Anforderungen ein Standard fordert.
Leitfaden zu Standards für soziale Nachhaltigkeit (PDF, 12 MB, 20.02.2023)
Anhang 1: Tool zur Analyse von Standards (nur auf Englisch verfügbar) (XLSX, 111 kB, 16.02.2023)
Anhang 3: Beweismittel, Fragebogen (XLSX, 22 kB, 16.02.2023)